Schulischer Personalmangel – zum Diskurs über den Lehrkräftemangel in Schulen
Eine große Herausforderung für viele Schulen ist der aktuelle Personalmangel. Es fehlen v.a. Lehrkräfte, aber auch anderes pädagogisches Fachpersonal. Das Thema stellt mittlerweile die Schulen und auch die Bildungspolitik vor große Herausforderungen.
Diese aktuell herausfordernde Situation an Schulen hat das Institut für Bildungsmangement und Bildungsökonomie der Pädagogischen Hochschule Zug zum Anlass genommen, Problemlagen, Hauptursachen und Lösungsansätze in einem Überblick zum Diskurs zusammenzutragen.
Problemlage in den Regionen der DACH-Länder (Deutschland, Österreich, Schweiz)
Der Lehrkräftemangel zeigt sich in Deutschland, Österreich und der Schweiz, auch wenn es nationale und regionale Unterschiede gibt. Er ist kein überraschend eingetretenes Thema – in der Vergangenheit gab es immer wieder knappe Personalressourcen an den Schulen. Auch aus Bedarfsprognosen ist schon länger bekannt gewesen, dass es zu einem neuerlichen Lehrkräftemangel kommen würde. Die Bildungspolitik und die Schulen reagieren in dieser „Notsituation“ des Lehrkräftemangels mit Maßnahmen, von denen viele allerdings nur als „mangelhafte Improvisationen“ bezeichnet werden können. Hierzu zählen zum Beispiel die Erhöhung der Unterrichtsstunden durch Überstunden, welche die Lehrer*innen ableisten müssen, die Erhöhung der Klassengrößen und die Nicht-Genehmigung von Sabbaticals. Der Einsatz von Quer- und Seiteneinsteigern ist mittlerweile an etlichen Schulen gängige und notwendige Praxis geworden. Dieses Verfahren ist jedoch kritisch zu hinterfragen, da es den meisten Quer- und Seiteneinsteigern an pädagogischen Kenntnissen fehlt.
Ursachen und Lösungsansätze: Diskussionsforum mit DACH-Expert*innen anlässlich der WELS Online Konferenz 2022
Im Rahmen des World Education Leadership Symposiums 2022 wurden in einem Diskussionsforum mit Wissenschaftlern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, Vertretern von Lehrer*innen-Verbänden, Schulleitungen und mit Lehrerinnen und Lehrern Gründe und Lösungsansätze des Lehrkräftemangels diskutiert.
Unter der Leitung von Prof. Dr. Stephan Huber diskutierten Prof. Dr. Katharina Soukup-Altrichter von der Pädagogischen Hochschule Oberösterreich, Prof. Dr. Anita Sandmeier von der Pädagogischen Hochschule Schwyz, Prof. Dr. Wolfgang Böttcher von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und Simone Fleischmann vom Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband e.V. mit interessierten Teilnehmenden am WELS.
Fakt ist: Vor allem während des Referendariats und während der ersten Berufsjahre ist eine erhöhte Abbrecherquote unter (angehenden) Lehrkräften festzustellen, die unter anderem einem Realitätsschock zugeschrieben wird. Hier könnte – so die Diskussion im Forum – eine Erhöhung des Praxisanteils im Lehramtsstudium entgegenwirken. Mehrere Diskutanten sprachen sich allerdings dafür aus, dass in den ersten Studienjahren nicht der Praxisanteil, sondern das fachliche Studium im Vordergrund stehen sollte.
Es wurde berichtet, dass es viele Kündigungen von Lehrkräften aufgrund der beruflichen Belastung gebe, Mindestpensen können daher nicht die Lösung sein, um dem Lehrkräftemangel entgegenzutreten. Es wurde ein kontinuierliches Monitoring der Fluktuationsraten und -gründe der Lehrkräfte gefordert. Als falsch wurde außerdem die Annahme entkräftet, dass es in der Schweiz bei Lehrkräften eine höhere Fluktuation gebe als in anderen Berufen, die sei nur zu Beginn und zum Ende der Berufslaufbahn der Fall.
Die Erhöhung der Löhne und Gehälter der Lehrkräfte wurde als weniger sinnvolle Maßnahme gegen den Lehrkräftemangel betrachtet, da die Löhne der Lehrkräfte bereits relativ hoch seien und zudem noch mehr Lehrkräfte dazu veranlassen könnte, in Teilzeit zu arbeiten. Auch wurde diskutiert, ob Schulunterricht nicht mehr in Fächern, sondern in breiter aufgestellten Domänen/Modulen organisiert werden sollte. Als sehr sinnvoll wurde die Bindung von Praktikant*innen und Referendar*innen durch Mentoring-Projekte thematisiert. Zudem wurde empfohlen, die Nachwuchsgewinnung schon an den Schulen zu beginnen und gezielt Schüler*innen anzusprechen. Auch die Arbeits(platz)bedingungen, Lehrer*innenbildung, die gesellschaftliche Wertschätzung der Lehrer*innen und die Schulentwicklung wurden als wichtige Ansatzpunkte für Verbesserungen identifiziert.
Kontrovers diskutiert wurden schließlich die Ansätze, dass Lehrkräfte an weiterführenden, großen Schulen nur eines statt zwei Fächer unterrichten sollen und ob die Lehrer*innen-Ausbildung als duales Lehramtsstudium gestaltet werden sollte. Drüber hinaus wurde betont, dass es nicht eine einfache Lösung gebe, die den Lehrkräftemangel auflösen kann, es brauche systemische Lösungen und ein Umdenken des Systems Schule.
Der Diskurs im Überblick: Fachbeitrag im Web-Journal #schuleverantworten
Ein Artikel zu dem Thema ist im Web-Journal #schuleverantworten, Ausgabe 3/2022, erschienen. Der von Stephan Huber und Larissa Lusnig verfasste Artikel gibt einen Überblick zu den Problemlagen und Hauptursachen des Personalmangels in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Dazu gehören vor allem die Pensionierungswellen, der starke Zuwachs an Schüler*innen, teilweise schwierige Arbeitssituationen der Lehrer*innen, hohe Abbrecherquoten in den ersten Berufsjahren und vermehrte Teilzeitarbeit. Es werden ausgewählte kurzfristige und nachhaltige Lösungsansätze skizziert, wie zum Beispiel die Verbesserung der Arbeitssituationen von Lehrer*innen, um den Beruf attraktiver zu gestalten (Berufswahl), und die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass Personen im Lehrerberuf verbleiben (Berufsverbleib). Darüber hinaus werden verschiedene weitere Lösungsansätze diskutiert, dazu zählen zum Beispiel der Ausbau von multiprofessionellen Teams oder auch radikalere Ansätze der Reorganisation von Schule, besonders unter der Perspektive des digitalen Wandels und der Lehr-Lern-Forschung mit einer anderen Gestaltung und Rhythmisierung des Schultags weg vom Klassen- und Unterrichtsstundensystem mit einem festen Zeittakt.
Und?
Und natürlich müsste noch mehr diskutiert werden. Was fällt Ihnen zu diesem aktuellen Themenkomplex ein? Schreiben Sie uns unter Personalmangel@EduLead.net, wir freuen uns auf Ihre Beiträge.Der schulische Personalmangel in Österreich, Deutschland und der Schweiz hat weitreichende Folgen, für die Schüler*innen, die Mitarbeiter*innen an den Schulen und auch für die Lehramtsstudent*innen, wie eine Studie aus Österreich zeigt. Die Bedarfsprognosen sehen für die nächsten zehn Jahre keine Verbesserung der Situation, teilweise eher eine Verschlechterung. Es sind also alle Akteure gefragt, Maßnahmen zu ergreifen, um diese stellenweise Notsituation so gut wie möglich abzufedern.
Der im Web-Journal #schuleverantworten, Ausgabe 1/2023, von Stephan Huber, Christoph Helm und Larissa Lusnig verfasste Artikel stellt kurz-, mittel- und langfristige Lösungsansätze zur Abfederung des Personalmangels für die Bildungspolitik, die Schulaufsicht, die Hochschulen und die Schulen selbst vor, idealerweise gebündelt und strategisch abgestimmt als konzertierte Aktion, bei der alle Akteur*innen Verantwortung tragen.
Schulischer Personenmangel ist ein Thema, welches auch die Schuldemokratie betrifft. So fallen häufig zuallererstProjekte weg, die über den Regelschulbetrieb hinausgehen, z.B. auch individuelle Angebote, bei denen die Schüler*innen schulische Mitbestimmung und eine demokratische Schulkultur erproben können. Dem schulischen Personalmangel zu begegnen,ist also auch vor diesem Hintergrund wichtig. Auf Basis der beiden bereits erschienenenAufsätze in #schuleverantworten zu dem Thema (Huber & Lusnig, 2022; Huber, Helm &Lusnig, 2023) und eines Expert*innenaustauschsim Rahmen der Fachtagung WELSfocus 2023 wird im vorliegenden Artikel ein systematischer und umfangreicherMaßnahmenkatalog zurzeit diskutierter Lösungsansätze vorgestellt. Weiterhin werden empirische Befunde einer Befragung von 37 Schulleitungen und 715 pädagogischen Mitarbeitenden an Schulen in herausfordernder Lage beschrieben, welche ausgewählte Maßnahmen aus dem Maßnahmenkatalog eingeschätzt haben.
WELSfocus 2023
Schulischer Personalmangel in Deutschland, Österreich und der Schweiz
Lösungsansätze und Empfehlungen
Am 15. März 2023 fanden sich 300 engagierte Expert*innen aus Schulen, Bildungswissenschaft, Schulaufsicht und Bildungsverwaltung, Politik, Verbänden u.v.m. in Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammen, um bei dem WELSfocus über die Problemlagen und Lösungsansätze zum schulischen Personalmangel zu diskutieren (WELS.EduLead.net). In den Gesprächsrunden und Vorträgen wurden ebenso vorübergehende und schnell umsetzbare, mittel- und längerfristige bzw. nachhaltige Handlungsoptionen diskutiert, sowie die zugrundeliegenden Umstände, die zum aktuellen Personalmangel führ(t)en, beleuchtet.
Es gilt die verschiedenen Ursachen für den Personalmangel differenziert zu betrachten. Nur im Bewusstsein der vielfältigen Gründe können gleichzeitig nachhaltige wie kurzfristig wirksame Lösungen entwickelt werden. Neben einem Lehrkräftemangel, der auf zu wenige Lehramtsabsolvent*innen bei steigenden Schüler*innenzahlen zurückzuführen ist, tragen ebenso die hohen Abbruchraten während des Referendariats, vorzeitige Renteneinstiege, eine Zunahme an Berufsausfällen aufgrund von Belastungssyndromen und vermehrte Arbeit in Teilzeitanstellungen zu dem herausfordernden Personalmangel im Bildungssystem bei. Die Aufstockung an Professuren, um mehr Lehramtsanwärter*innen ausbilden zu können, ist eine Lösung, die langfristig angelegt ist, aber die Bedarfe, die jetzt bestehen, nicht taxieren kann.